Stromspeicher sind derzeit beliebte Investitionsobjekt. Doch für die Energiewende brauchen wir viel mehr davon und das vor allem schnell. Der Berater und Branchenkenner Hans Urban gibt im Interview einen Einblick in den deutschen Strom- und Speichermarkt.
Hans Urban ist Dipl.-Ing. der Elektrotechnik/Energietechnik und seit inzwischen mehr als 20 Jahren in der Solarbranche tätig. Seit 2016 ist er selbständiger Berater für Photovoltaik, Speicher und Elektromobilität und auch Mitglied in einigen Jury-Gremien, u.a. seit mehreren Jahren beim PV Magazine und auch bei The Smarter E. Speziell im Thema Großspeicher arbeitet er intensiv mit der ECO STOR GmbH aus Kirchheim bei München zusammen, die alleine im Jahr 2022 in Deutschland fünf netzdienliche Großspeicherprojekte in je zweistelliger MWh-Größenordnung in Betrieb genommen hat.
Wie viele Speicher gibt es aktuell, sind in Planung oder werden schon gebaut in Deutschland und Europa?
Das ist schwierig zu sagen, weil die Kaufinteressierten ihre Absichten ja nicht an die große Glocke hängen. Die versuchen sich vorher die Grundstücke und Netzanschlüsse zu sichern und ihre Verhandlungsposition nicht zu verschlechtern. Ich schätze aber, dass rund 30 bis 40 Projekte aktuell in Planung sind. Alleine in Deutschland dürften in 2022 rund 500 MWh an netzdienlichen Großspeichern ans Netz gegangen sein.
Und mit welchen Kapazitäten müssen wir in den nächsten Jahren rechnen?
Das ist ja immer eine Frage des Anwendungsbereichs. Bisher gab es die ersten Speicher in der Primärregelleistung. Aber dieser Markt hat nur eine gewisse Größe. Deswegen ist auch der Preis ein bisschen eingebrochen, denn mit dem begrenzten Marktdesign an Regelleistung kann kein weiteres Wachstum angeregt werden. Diese Speicher haben so zwischen einem und zehn Megawattstunden. Dann kamen die sogenannten „Vermiedenen Netzentgelte“ noch dazu. Das heißt, der Speicherbetreiber erhält Geld, wenn er zu Zeiten von Lastspitzen einspeist. Das war ein weiterer Anreiz Speicher zu bauen, die eine maximale Kapazität von bis zu zehn Megawattstunden haben. Und dann haben wir noch die Speicher aus den Innovationsausschreibungen. Dabei werden Speicher mit PV-Anlagen an einem Netzanschlusspunkt errichtet und die haben in der Regel zwischen ein bis fünf, maximal zehn Megawattstunden.
Im Gegensatz dazu gehen bei den jetzt neu gebauten Speichern, die Größenordnungen in mehrere zehn Megawattstunden bis hin zu dreistellig. Also da werden schon Projekte geplant, die eine dreistellige Megawattkapazität haben. Und das gab es halt bisher überhaupt nicht. Das heißt, diese Netzspeicher erreichen jetzt wirklich die nächste Größenordnung und das brauchen wir auch ganz dringend.
Ab 2023 dürften pro Jahr wohl Projekte in einer Größenordnung von ca. 1 GWh mit steigender Tendenz in Betrieb genommen werden, da die schnell wachsende Branche diese Projekte inzwischen im industriellem Maßstab Projekte entwickelt, finanziert, baut und betreibt.
Denn das was wir wir bisher gemacht haben, das ist eigentlich nur so ein bisschen ein Kratzen an der Netzsicherheit und an dem Puffern von PV-Anlagen und von Windstrom. Das ist noch kein wirkliches Einspeichern über Zeiten. Mit diesen neuen Projektgrößenordnungen werden aber die Speicherzeiten inzwischen immer länger.
Wie finanzieren sich die neu gebauten Speicher?
Die vermiedenen Netzentgelte (VNE) wurden jetzt abgeschafft. Aber inzwischen sind die Strompreise und speziell die Volatilitäten so sehr gestiegen, dass Speicher jetzt in der Intraday-Vermarktung wirtschaftlich geworden sind. Diese neuen Speicher finanzieren sich nur durch Intraday-Vermarktung und ein bisschen Primärregelleistung. Denn die Speicher können vor allem dadurch punkten, dass sie ihre Energie sehr kurzfristig bereitstellen können.
Wird der weitere Netzausbau durch den Zubau dieser neuen Speicher zum Teil oder vielleicht sogar ganz überflüssig?
Also ganz sicherlich nicht. Grundsätzlich wirkt jeder Speicher netzentlastend. Je mehr Speicher wir haben, desto weniger werden wir bestehende Netze ausbauen müssen. Aber man kann auch nicht sagen, dass wenn wir neue Speicher bauen, dass wir dann keine neuen Leitungen mehr brauchen, um Windstrom von Norden nach Süden zu bringen. Die wird man trotzdem brauchen, zumindest in einer gewissen Größenordnung.
Wer investiert heute in neue Speicher?
Das sind vor allem Fonds, in die oft auch wohlhabende Privatpersonen investieren, die meist auch schon Berührung mit der Branche hatten. Meist haben die zuvor nur in PV investiert und legen jetzt einen kleinen Teil des Geldes auch in Speichern an.
Dennoch gibt es oft Missverständnisse. Einige meinen, ein Speicher wäre schon wirtschaftlich, wenn man den nur irgendwo hinstellt. Wenn man nur Energie einkauft und irgendwann verkauft. Das kann man aber alles vergessen. Es ist nur der wirklich kurzfristige Intraday-Handel, der momentan wirtschaftlich ist. Aber es ist privates Geld, es wirkt trotzdem für die Energiewende und die Speicherzeiten werden natürlich immer länger. Und der Markt wächst. Denn durch die zunehmende Zahl von erneuerbaren Energien im Stromnetz, werden auch die Schwankungen immer größer und es werden immer mehr Speicher zum Ausgleich gebraucht.
Wie muss der Speicher für den Intraday-Handel optimal gefahren werden?
Mit Handbetrieb geht da gar nichts. Das läuft alles über Software und die muss vorher wissen, was kann der Speicher, wie schnell kann ich Leistung abrufen und wie viel. Und was auch noch mal ganz wichtig ist, die Speicher in der Primärregelleistung, die haben rund einen Zyklus pro Tag. Die Speicher für den Intraday-Handel die könnten auch zehn Zyklen pro Tag machen, je nachdem wie sie kapazitäts- und leistungsmäßig ausgelegt sind. Aber dann würden sie zu schnell altern. Also geht es nicht nur um die Frage, wie hoch sind die Preissprünge und wie oft könnte der Speicher diese nutzen. Die Software muss vielmehr auch die Alterung, die so genannte Degradation, des Speichers berücksichtigen und dann berechnen welche Preise für welche Zyklenzahl und die damit verbundene Alterung notwendig sind, um den Speicher wirtschaftlich zu betreiben. Und da liegen wir im Moment so bei zwei Zyklen am Tag. Das ist schon brutal viel im Vergleich zu einem E-Auto oder einem Heimspeicher. Die kommen da nie hin.
Wie viele Speicher brauchen wir für eine hundertprozentige Energieversorgung mit Sonnen- und Windstrom?
Es gibt da verschiedene Studien mit unterschiedlichen Ausgangsszenarien. Ich hatte das mal im Rahmen eines Vortrages ausgewertet und grob abgeschätzt: Dafür bräuchten wir rund 300- bis 500-mal mehr Batteriespeicher als heute installiert sind. Insgesamt wären rund 150 Gigawatt Leistung für zwei Stunden nötig. Also eine Kapazität von rund 300 Gigawattstunden. Hinzu kämen Gasspeicher mit einer ähnlich hohen Leistung, aber einer viel höheren Kapazität von rund 270 Terawattstunden für die Langzeitspeicherung.
Ob das realisierbar ist, können zwei Beispiele zeigen: Die 300 Gigawattstunden Batteriekapazität hätten wir schon, wenn all unsere 47 Millionen Pkw elektrisch fahren würden und einen Speicher von 6,4 kWh (also grob 10% der nutzbaren Batteriegröße) für den Netzstützung zur Verfügung stellen würden . Oder wenn – anderes Beispiel – all unsere 41,5 Millionen Haushalte einen Batteriespeicher von etwas über 7,2 kWh hätten und dieser netzdienlich nutzbar wäre. Tatsächlich glaube ich, dass diese vernetzbaren Kleinspeicher in Zukunft auch zum Teil genutzt werden, aber eine gewisse Anzahl an Großspeicher nicht ersetzen können Vor allem weil diese in Millisekunden ihre Leistung abgeben können und so das Netz sehr viel dynamischer stützen können als die kleinen verteilten Speicher in Autos und Haushalten.
Welche Technologien sind denn bei Großspeichern derzeit vorherrschend?
Das sind generell immer noch alles Lithium-Ionen-Batterien. Wobei der Trend derzeit in Richtung Lithium-Eisenphosphat geht. Das sind die etwas gutmütigeren und schwereren Batterien im Vergleich zu den derzeit vorherrschenden NMC-Batterien, den Nickel-Mangan-Cobalt-Batterien. Weitere Vorteile sind die Verfügbarkeit, weil kein Cobalt drin ist, und Nickel wird ja auch schon knapp. Und auch der Preis ist normalerweise ein bisschen besser. Weiterer Vorteil ist die hohe Zyklenfestigkeit. Ein kleiner Nachteil ist dagegen die flache Kennlinie. Das heißt, man kann unterschiedlich geladene Zellen nicht so einfach voneinander unterscheiden und das macht es für das Batteriemanagementsystem so ein bisschen schwierig, das Ganze immer synchron zu betreiben. Ein nächster großer Schritt in der Batterietechnologie könnte dann das Ersetzen des Lithiums durch Natrium sein. Denn Lithium ist teuer und nicht immer ohne Weiteres verfügbar. Von CATL gibt es auch schon die ersten großtechnischen Natriumbatterien. Und Natrium ist einfach unbegrenzt verfügbar. Daher geht man davon aus, dass so der nächste Preissprung nach unten gelingt.
Realisierungszeiten von zwei Jahren gelten als schnell bei Bau von Batteriespeichern. Vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise könnte es sicher für viele auch gerne schneller gehen. Wo hakt es?
Das könnte wesentlich schneller gehen. Die Batterie da irgendwo hinstellen, das ist überhaupt kein Thema. Was das Ganze verzögert, sind ganz normale Faktoren, die wir auch aus der konventionellen Energietechnik kennen. Zum Beispiel Trafos oder Umspannstationen oder die Genehmigungen. Erstmal muss man das Grundstück erwerben oder pachten und dann sämtliche Genehmigungen erhalten.
Gerade die bürokratischen Hürden, das sind die Dinge, die den Aufbau von Speichern am meisten behindern. Die sich aber auf der anderen Seite doch in diesem Bereich viel weniger auswirken als zum Beispiel bei einer Leitungstrasse, bei der hunderttausende von Leuten betroffen sind und sich meist sofort Bürgerinitiativen gründen. Ein Speicher steht dagegen auf einem hässlichen Grundstück neben der Umspannstation, da interessiert das keinen. Alleine auf einem Hektar können mit heutiger Technologie rund 250MWh an Speicherkapazität entstehen. Das ist der Vorteil bei diesen Verfahren. Aber nur die Hardware aufzustellen, das könnte auch wesentlich schneller gehen. Allerdings liegen die Lieferzeiten bei Trafos im Moment bei über einem Jahr.
Die EU-Kommission und auch das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium wollen jetzt verstärkt bürokratische Hürden abbauen. Was sind denn die größten Hürden?
Das ist zum einen der Baukostenzuschuss, den die Netzbetreiber für den Bau von Speichern verlangen. Der ist so hoch, dass er viele Projekte scheitern lässt, weil er den Investoren zu sehr auf die Rendite schlägt. Vor allem aber ist dieser Baukostenzuschuss – der eigentlich für Verbraucher gedacht ist, die bei steigenden Verbräuchen einen größeren Netzanschluss erhalten müssten – dieser Baukostenzuschuss ist für Speicher völliger Unsinn. Denn Speicher belasten nie das Netz, sie werden normalerweise immer so betrieben, dass das Netz entlastet wird.
Das zweite sind die Genehmigungsprozesse, insbesondere die bisher fehlende Privilegierung im Außenbereich. Denn Speicher werden neben den Umspannwerken gebaut, die immer im Außenbereich liegen. Dort dauern die Genehmigungsprozesse noch einmal deutlich länger. Außer es handelt sich um eine wichtige infrastrukturelle Maßnahme. Dann gibt es die genannte Privilegierung im Außenbereich und die müssten Speicher bekommen, damit es schneller ginge.
Und der dritte Punkt ist, dass die Gemeinden an den Gewerbesteuereinnahmen aus den Speichern beteiligt werden müssten. Denn diese Gemeinden sind an den Genehmigungsprozessen beteiligt und hätten dann einen größeren Anreiz. Wer schon einmal versucht hat, ein größeres Projekt einem kommunalen Parlament, also einem Gemeinderatsgremium oder einem Stadtrat schmackhaft zu machen, der kann vielleicht bestätigen, dass dort Entscheidungen sehr oft auch von „weichen Faktoren“ bestimmt werden. Und wenn die Einkünfte eines großen Projektes vielleicht den neuen Kindergarten mitfinanzieren helfen, dann schlagen solche Argumente sicherlich mehr zu Buche als die für viele doch abstrakten „Notwendigkeiten der Energiewende“. Obwohl gerade diese Energiewende doch so existentiell wichtig ist, wenn wir an die Zukunft dieser Kinder denken.