Die Solarstrategie der EU sieht vor, dass in jeder Gemeinde mit mehr als 10.000 Einwohnern mindestens eine Energiegemeinschaft gegründet wird. Eine von den Gemeinden betriebene dezentrale Solarstromerzeugung kann den Zugang zu sauberer Energie in städtischen Gebieten verbessern, die Energiearmut bekämpfen und ist entscheidend für die Beteiligung der Bürger an der Energiewende. Die Ambitionen zur Förderung von Energiegemeinschaften sind in Europa groß, doch die Umsetzung möglicher Initiativen scheitert oft an regulatorischen Hindernissen und schwierigen Rahmenbedingungen.
Wir sprachen mit Maria Colom Cifuentes, Head of Decentralized PV bei ENGIE Spanien, über das spanische Szenario und wie sie die Zukunft von Energiegemeinschaften dort einschätzt.
Können Sie kurz beschreiben, welche Rolle Energiegemeinschaften bei der Gestaltung der Energiewende in Europa spielen und wie ENGIE diese unterstützt?
Die Energiewende kann ohne kollektiven Eigenverbrauch nicht gedacht werden. In Frankreich, Italien und Belgien hat ENGIE Pilotprojekte gestartet, da dort bereits die rechtlichen Rahmenbedingungen für den kollektiven Eigenverbrauch geschaffen wurden. Wir betreuen mehrere Projekte und Programme und verwalten Fördermittel – alles noch im Anfangsstadium. Durch Energiegemeinschaften und kollektive Eigenverbrauchsprojekte können auch Unternehmen und Privathaushalte, die keine eigene Dachfläche zur Verfügung haben, von der Energiewende profitieren.
Schätzungen meiner Kollegen bei ENGIE France zufolge können 15 bis 20 Prozent der französischen Dächer von Energiegemeinschaften genutzt werden. Auf die Frage, warum auf diesen Dächern noch keine Solarenergie erzeugt wird, gibt es eine einfache Antwort: Der Eigenverbrauch für den Dachbesitzer allein rentiert sich nicht.
Die meisten Energiegemeinschaften setzen auf Solarstrom, da die Technologie dafür am ausgereiftesten ist. In Ländern wie Spanien und Portugal ist sie für Energiegemeinschaften sehr rentabel, auch ohne Vergütungssystem. Solarstrom bietet sich als Einstieg an – mit Energiespeichern und Elektrofahrzeugen werden wir in Zukunft aber noch ganz andere Möglichkeiten haben. Solaranlagen sind erst der Anfang.
Lassen Sie uns über Spanien sprechen: Seit Abschaffung der Sonnensteuer für Anlagen auf Wohngebäuden im Jahr 2018 verzeichnet die dezentrale PV-Erzeugung ein starkes Wachstum.
Mit Abschaffung der Sonnensteuer 2018 wurde der kollektive Eigenverbrauch nicht nur ermöglicht, sondern für Privathaushalte besonders attraktiv gemacht. Nach Angaben des spanischen Solarstromverbands UNEF betrug die neu installierte Leistung 2022 insgesamt 2,5 Gigawatt (GW). Spanien hat mittlerweile eine installierte Leistung von über 5 GW. Das zeigt deutlich, dass die Gesetzesänderung etwas bewirkt hat. Die hohen Strompreise haben zusätzlich dazu beigetragen. Der Eigenverbrauch wird durch europäische Fonds zwar enorm gefördert, trotzdem ist der Anteil des kollektiven Eigenverbrauchs noch sehr gering.
Fördern bestimmte spanische Städte die dezentrale Energieerzeugung bzw. gibt es zukunftsweisende Projekte? Wie werden solche Vorhaben unterstützt?
Bisher gibt es in Spanien zwar noch kein überregionales Verbrauchsregister, aus den öffentlichen Registern von Katalonien, Navarra und den Kanarischen Inseln geht aber hervor, dass der kollektive Eigenverbrauch in diesen Regionen im Schnitt weniger als 1 % des Eigenverbrauchs ausmacht. In Katalonien waren nur 1,64 % der im Jahr 2022 installierten Gesamtkapazität, d. h. 3 Megawatt (MW), für den kollektiven Eigenverbrauch bestimmt. Mit diesen Zahlen lässt sich die Energiewende nicht bewerkstelligen.
Die ersten Energiegemeinschaften wurden 2022 gegründet, als vom spanischen Ministerium für ökologischen Wandel im Rahmen des „CE Implementa“-Programms Zuschüsse bewilligt wurden, die bis zu 60 % der Projektkosten decken. Das Konzept funktioniert wirklich gut. Viele regionale Energieagenturen und Gemeinden führen derzeit kollektive Eigenverbrauchsregelungen ein. Allen voran das Institut Balear de l'Energia, das eine Kapazität von 2,5 MW bereitstellen soll – genug für 1.500 Haushalte und 300 Unternehmen.
Die europäischen Förderprogramme, die Ende des Jahres auslaufen, sind wesentlich großzügiger, was den kollektiven Eigenverbrauch angeht, als beim individuellen Eigenverbrauch. Es gibt also Fördermittel, aber wir müssen noch viel mehr tun, um Anreize zu schaffen. Ein Kooperationsprojekt auf die Beine zu stellen ist schließlich viel komplexer, als auf dem eigenen Dach ein Solarpanel zu installieren.
Die spanische Energieagentur IDEA hat auf ihrer Website eine Karte mit allen Energiegemeinschaften, die in Spanien gegründet wurden, veröffentlicht.
Mit welchen Schwierigkeiten haben Energiegemeinschaften in Spanien bzw. Europa zu kämpfen?
Das lässt sich mit einem Wort beantworten: Bürokratie. Die mit dem Eigenverbrauch verbundenen bürokratischen Hürden bremsen vor allem Projekte für den kollektiven Eigenverbrauch aus. Bis ein kollektiver Eigenverbrauch genehmigt wird, vergeht unter Umständen bis zu ein Jahr. Gleichzeitig unterscheiden sich die Verfahren je nach Modell stark. In Katalonien beispielsweise werden Genehmingungen für individuelle Installationen in Privatwohnhäusern innerhalb von rund einem Monat erteilt. Bis eine kollektive Eigenverbrauchsanlage genehmigt wird, kann das unter Umständen bis zu einem Jahr dauern.
Da die involvierten Unternehmen nur mit einem ungefähren Zeitplan arbeiten und keine genauen Aussagen treffen können, erleben sie viel Frustration auf Kundenseite. Die meisten spanischen Unternehmen arbeiten nicht mit kollektivem Eigenverbrauch.
Gab es zuletzt auch regulatorische Verbesserungen, seid der kollektive Eigenverbrauch gefördert wird?
Die gesetzlichen Auflagen sind längst nicht mehr so streng, wie sie einmal waren: gerade für Anlagen unter 100 Kilowatt (kW) benötigt man in vielen Regionen keine Baugenehmigung mehr. Der Genehmigungsprozess wurde 2022 auch durch die EU-Richtlinien erheblich erleichtert. Jetzt muss der Antrag nur das Datum des Baubeginns enthalten. Eine Baugenehmigung gilt als erteilt, wenn innerhalb einer bestimmten Frist nichts Gegenteiliges mitgeteilt wird.
Genehmigungen für Eigenverbrauchsanlagen unter 50 kW werden spätestens nach einem Monat erteilt – was für kleine gewerbliche oder private Eigenverbrauchsanlagen besonders praktisch ist. Auch Umweltgenehmigungen können einfacher beantragt werden, und auch die Rahmenbedingungen für den kollektiven Eigenverbrauch ändern sich. Wir sprechen hier von Projekten unter 100 kW – ich halte es aber für wichtig, auch größere Projekte in die Gleichung mit einzubeziehen. Um das zu schaffen, müssen wir dezentralen Erzeugungsanlagen unbedingt den Netzzugang erleichtern. Denn hier liegt das Problem: Für ein größeres gemeinschaftliches Projekt ist das Genehmigungsverfahren viel komplizierter und es wird meist kein Netzzugang gewährt.
Wie steht es in Spanien um die Digitalisierung für eine dezentralere Energieerzeugung? Was muss hier noch getan werden?
Die Integration dezentraler Energien stellt den Energiesektor vor viele Herausforderungen. Wie diese gemeistert werden, hängt vor allem vom Ministerium für ökologischen Wandel und demografische Herausforderung ab. Es muss das Tempo der letzten drei bzw. vier Jahre beibehalten.
Dass das öffentliche Verbrauchsregister nicht regelmäßig aktualisiert wird, erschwert die Digitalisierung. Angebot und Nachfrage klaffen vermutlich auseinander, vor allem, wenn wir davon ausgehen, dass die installierte Kapazität des Eigenverbrauchs viel höher als geschätzt ist. Diese Abweichung gefährdet schlimmstenfalls die Netzstabilität.
In dem vor einem Jahr veröffentlichten Fahrplan für den Eigenverbrauch wurden für 2030 im ungünstigsten Fall 9 GW und bestenfalls 14 GW vorausgesagt. In diesem Jahr liegen wir aber schon bei 5 GW.
Was wir brauchen, ist ein gut funktionierendes, automatisches und digitales Verbrauchsregister. Das RADNE-System für die von den autonomen Gemeinschaften bereitgestellten Daten zählt gerade einmal 24.500 PV-Eigenverbrauchsanlagen, was einer Gesamtleistung von etwa 300 MW entspricht. Damit ist die Anzahl 15-mal geringer als die Schätzungen des spanischen Solarverbands UNEF über bereits bestehende Anlagen. Für eine einwandfreie Netzstabilität benötigen wir genaue Informationen als Grundlage für die Bedarfsschätzung. Wir müssen wissen, wie viele MW tatsächlich installiert werden, anstatt uns nur auf die von den Energieverbänden vorgelegten Zahlen zu verlassen.
Welche Schritte sind notwendig, um von einem zentralisierten zu einem dezentralen Energiesystem mit großem Anteil an Solarenergie zu wechseln?
Da die Nutzung der Solarenergie viel schneller voranschreitet als erwartet, sind wir auch auf Speichertechnologien angewiesen. Der Einsatz von Energiespeichern muss nun früher als gedacht durch Anreize gefördert werden. In Spanien gibt es derzeit Zuschüsse für die Stromspeicherung „behind the meter“. Diese eigenen sich gut für Hausinstallationen. Anders als bei industriellen und gewerblichen PV-Anwendungen werden Schätzungen von Branchenexperten zufolge etwa 30 % der neu installierten PV-Anlagen in Privathaushalten mit einem Speicher kombiniert. Da gibt es keinen Business Case. Speicher kommen bei uns nicht zum Einsatz und leider ist auch nicht zu erwarten, dass die Batteriespeicherpreise in absehbarer Zeit stark genug sinken werden. Um den Einsatz von Speichern zu fördern, brauchen wir zusätzliche Anreize und Fördermittel, mit denen wir einen Business Case schaffen können.
In Spanien und Portugal sind Eigenverbrauch und PV-Anlagen grundsätzlich auch ohne Förderung rentabel. Bei Stromspeichern sieht das anders aus – hier sind wir von Fördermitteln abhängig. Es ist unsere Aufgabe, Förderprogramme zu entwickeln und ein Zeichen zu setzen. Andernfalls verlangsamt sich der Ausbau der Solarenergie und wir erreichen früher als gedacht an die duck curve. Die richtigen Anreize hätten den Vorteil, dass sie Netzstabilität fördern, und außerdem würden sie Bürger in ihrer Entscheidung für eine eigene Solaranlage bestärken, da diese andernfalls davon ausgehen könnten, dass die Preise in den nächsten Jahren drastisch fallen.
Könnte es zu Konflikten zwischen Energiegemeinschaften und den big players der PV-Industrie um Gelder, Produktionskapazitäten und Netzzugang kommen?
Ich glaube nicht, dass es zwischen großen Unternehmen und kleinen Erzeugern einen Wettbewerb geben wird. In gewisser Weise konkurrieren alle Erzeuger, ob groß oder klein, um den Netzzugang, denn die Netzkapazität ist knapp. Selbst die dezentralen PV-Anlagen von ENGIE, für die ich zuständig bin, laufen größtenteils ohne Netzeinspeisung. Das ist meiner Meinung nach nicht zielführend. Wir verhindern damit die Netzstabilität. Außerdem müssen wir bedenken, dass unsere Industrieanlagen größtenteils nicht zur Netzstabilität beitragen können. Wir können die Nachfrage drosseln, elektrifizieren oder den Verbrauch auf der Kundenseite reduzieren. Ins Netz einspeisen können wir jedoch nicht, denn wir haben keine Netzkapazität ist, die das Einspeisen erlauben würde.
Dadurch können Projekte zum Eigenverbrauch sowie Großprojekte nur schwer realisiert werden. Meiner Meinung nach sollte das Ministerium Eigenverbrauchsprojekten im Energiesektor höchste Priorität einräumen. Bei der letzten Auktion in Spanien im Oktober 2022 wurden Kapazitäten (140 MW von 520 MW) für Projekte mit einer dezentralen Energieerzeugung von weniger als 5 MW reserviert. Dennoch wurden nur 31 MW an Solaranlagen vergeben. Auktionen sind kompliziert und nicht für jeden zugänglich. Meiner Meinung nach sollten wir Maßnahmen ergreifen, um einen Teil des Netzes für den Eigenverbrauch und Energiegemeinschaften zu reservieren. Andernfalls wird es für Energiegemeinschaften schwierig, an der Energiewende mitzuwirken, da die durchschnittliche Projektgröße derzeit zu gering ist.
Das Interview führte Sarah Hommel de Mendonça.