„Es fehlt nur noch das letzte Puzzleteil“

Experteninterview – 15. Oktober 2024

Aurore Lantrain, Business Development & Strategy Officer von EPEX SPOT

Als Pionier im Betrieb von Strommärkten fungiert die Strombörse EPEX SPOT SE als neutraler Vermittler zwischen den Netzbetreibern und den Anbietern von Flexibilität. Die Nutzung von lokalen Flexibilitätsmärkten ist derzeit in der EU uneinheitlich, was vor allem auf den Rechtsrahmen zurückzuführen ist.

In Deutschland schreibt die Regulierung noch einen kostenbasierten Redispatch vor. Dieser Rahmen biete derzeit keine Anreize für flexible Anlagen, sich effizient am Redispatch-Prozess zu beteiligen, erklärt Aurore Lantrain im Interview. Pilotprojekte zeigen jedoch, wie es besser gehen könnte.

Lantrain arbeitet als Business Development & Strategy Officer bei der europäischen Strombörse. Die Börse selbst betreibt physischen kurzfristigen Stromhandel in 13 Ländern: in Zentralwesteuropa, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich, Skandinavien und Polen. Derzeit arbeitet Lantrain zum Thema EPEX Localflex und anderen neuen Dienstleistungen für Netzbetreiber.

Interview mit Aurore Lantrain, Business Development Management & Strategy Officer von EPEX SPOT

Was versteht man unter lokaler Flexibilität und warum wird diese immer wichtiger?

Im Zuge der Energiewende nimmt die Einspeisung aus erneuerbaren Energien in bestimmten Regionen zu, während sich die Hauptverbrauchszentren nicht unbedingt dort befinden. So kann es zu Netzengpässen auf allen Spannungsebenen kommen, die in den letzten Jahren zugenommen haben. Dies verursacht jedoch hohe Kosten für netzstabilisierende Maßnahmen wie Einspeisemanagement und Redispatch. Allein für Deutschland beliefen sich die Kosten im Jahr 2022 auf 4,2 Milliarden Euro und in 2023 auf drei Milliarden Euro.

Gleichzeitig können Verbraucher ihren Stromverbrauch zunehmend steuern, zumal Sektoren wie die Mobilität gerade in hohem Tempo elektrifiziert werden. Batteriespeicher, Elektroautos oder andere vernetzte IoT-Geräte sind in der Lage, den Stromverbrauch nach oben oder unten zu regeln, was die Flexibilität im System erhöht. In einem nächsten Schritt spielt die Lokalisierung dieser flexiblen Anlagen eine Schlüsselrolle, um Netzengpässe zu vermeiden.

Wie kann die Flexibilität genutzt werden?

Indem Konsumenten ihren Verbrauch netzdienlich steuern oder bei Bedarf sogar Strom ins Netz zurückspeisen, können sie dazu beitragen, Netzengpässe zu vermeiden, bevor sie entstehen. Wann und wo Flexibilität benötigt wird, lässt sich am effizientesten über einen Marktmechanismus ermitteln, der Angebot und Nachfrage zusammenführt. Dies geschieht auf lokalen Flexibilitätsmärkten, wie sie EPEX SPOT betreibt. Durch lokale Orderbücher werden Flexibilitätsangebote auf der Grundlage von Infos der Netztopologie erfasst. Diese Angebote können dann von Netzbetreibern abgerufen und zur Vermeidung von Netzengpässen genutzt werden.

Als Pionier im Betrieb von Strommärkten fungiert EPEX SPOT als neutraler Vermittler zwischen den Netzbetreibern, also den Käufern von Flexibilität, und den Anbietern von Flexibilität. Dadurch bündeln diese Märkte effizient lokale physische Flexibilitätsangebote, wo und wann sie benötigt werden – und zwar sowohl für die langfristige Reservierung als auch für die kurzfristige Aktivierung. Das fördert künftig die Entwicklung von mehr Flexibilitätsquellen.

Welche Akteure können die Flexibilität künftig vermarkten?

Auf der Käuferseite sind die Netzbetreiber auf dem Flexibilitätsmarkt aktiv. Auf der Verkaufsseite ist das Konzept der lokalen Flexibilitätsmärkte völlig technologieoffen. Das bedeutet, industrielle Nutzer wie Rechenzentren über Aggregatoren bis hin zu Stromspeichern oder Energiegemeinschaften und andere Erzeuger sind als Marktteilnehmer auf dem Localflex-Markt denkbar.

Welche Aufgaben übernimmt dabei die Strombörse – und wie funktioniert der Handel?

Das Angebot von EPEX SPOT Localflex deckt die gesamte Palette von der Entstehung bis zur Verwendung der Flexibilität ab. Wir schaffen für Flexibilitätsdienstleister Möglichkeiten, ihre Anlagen zu vermarkten, Netzbetreiber erhalten neue Werkzeuge, um Engpässe zu bewältigen und die Netzplanung zu optimieren. Vom Onboarding über die Registrierung und Aktivierung bis hin zur finanziellen Abrechnung begleiten wir den gesamten Prozess von Anfang bis Ende.

Konkret führen wir ein Orderbuch und sammeln die Aufträge zum Kauf und Verkauf von Flexibilität von registrierten Marktteilnehmern. Über eine anonyme Auktion werden die Kauf- und Verkaufsgebote zu Transaktionen zusammengeführt. Das sogenannte Matching erfolgt über einen Algorithmus, der einen optimalen Abgleich von Flexibilitätsangebot und -nachfrage gewährleistet. Er bietet die Möglichkeit eine Vielzahl von Bedingungen zu berücksichtigen, darunter die Koordinierung zwischen Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern sowie Netzbeschränkungen.

Gibt es schon funktionierende Flexibilitätsmärkte?

Seit 2017 arbeitet EPEX SPOT an verschiedenen Initiativen zur Entwicklung lokaler Flexibilitätsmärkte. Mit Enera und Enflate, unseren ersten Pilotprojekten für Flexibilitätsmärkte, haben wir unsere Expertise für ein effizientes Management von lokalen Netzengpässen und Spitzenlasten im europäischen Stromnetz entwickelt. Seit 2023 bündelt der Localflex Continuous NL Markt Flexibilitätsangebote in den Niederlanden. Auch in Großbritannien fördert Localflex die Integration erneuerbarer Energiequellen und erhöht das Engagement von Verbrauchern und Erzeugern in überlasteten Netzgebieten. Hier sind wir eine Partnerschaft mit dem Versorger UK Power Networks eingegangen.

Wie ist der Status quo in der EU bezüglich Flexibilitätsmärkten?

Die Nutzung von lokalen Flexibilitätsmärkten ist innerhalb der EU uneinheitlich, was vor allem auf den Rechtsrahmen zurückzuführen ist. In Deutschland zum Beispiel schreibt die Regulierung einen kostenbasierten Redispatch vor und bietet somit keine Anreize für flexible Anlagen, sich effizient am Redispatch-Prozess zu beteiligen. Wir hoffen, dass der neue Netzkodex zur Nachfragesteuerung die Beteiligung von Demand Response an der Lösung von Netzengpässen in Europa auf eine neue Grundlage stellen wird. Die europäische Agentur der Regulierer ACER überwacht diesen Prozess.

Wie schätzten Sie die Bedeutung der Fachmesse EM-Power Europe für Ihr Thema ein?

Solche Veranstaltungen sind äußerst wichtig, um die Entwicklung im Einklang mit, aber auch trotz des regulatorischen Umfelds weiterzubringen. Als private Organisation im Energiesektor ist es unsere Aufgabe und Verantwortung, die Energiewende durch Innovation voranzutreiben. Effiziente Innovation kann jedoch nur in enger Zusammenarbeit mit denjenigen erfolgen, die die neu entwickelten Dienste nutzen werden. Die Fachmesse schafft einen Raum, in dem sich die Teilnehmer offen über Herausforderungen, Bedürfnisse und Erfolgsgeschichten austauschen und diskutieren können. So können wir alle voneinander lernen und uns gemeinsam für funktionierende Lösungen einsetzen.

Was haben Sie dieses Jahr konkret von der Messe mitgenommen?

Wir konnten sowohl potenzielle DSO-Kunden als auch potenzielle Partner treffen. Es war eine gute Gelegenheit, einige Ideen zu testen und anregende Diskussionen mit vielen Beteiligten zu führen. Zahlreiche Technologieunternehmen entwickelten Angebote für dynamische Tarife, die den Weg für eine zunehmend flexible Nachfrage ebnen. Sogar einige Endverbraucher kamen, um sich über unsere Marktpreise zu erkundigen. Das gab uns den Eindruck, dass die Verbraucher bereit sind, flexibler zu werden und die Branche dabei ist, die entsprechenden Produkte zu entwickeln. Es fehlt nur noch das letzte Puzzleteil: die Regulierung.

Das Interview führte Niels H. Petersen.

Weiterführende Informationen auf The smarter E Digital

Sie möchten mehr darüber erfahren, wie man die Vorteile von Flexibilität noch besser für zusätzliche Monetarisierung, neue Märkte und Netzüberlastungsmanagement nutzen kann? Dann schauen Sie sich den Vortrag von Aurore Lantrain beim The smarter E Forum 2024 auf The smarter E Digital an! Dort finden Sie auch noch viele weitere Vorträge zum Thema Flexibilität.

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