Die Plattform Atlas des Start-ups Reasonance erhielt bereits den Innovationspreis für Künstliche Intelligenz (KI) des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg. Ihr Ansatz kombiniert klassische Modellierung mit maschinellem Lernen. Atlas bietet Tools zum Trainieren, Versionieren und Bereitstellen von KI-Modellen. Die Lösungen helfen der Energiewirtschaft heute schon Vorhersagen über PV-Stromerzeugung und Verbrauch zu verbessern.
Wir haben die Reasonance GmbH offiziell im Mai 2020 gegründet – also inmitten des COVID-19-Lockdowns. Aber die Geschichte begann schon früher: Ich arbeitete noch an meiner Thesis am Fraunhofer-Institut zum Thema KI und war als freier Mitarbeiter für Unternehmen in den Niederlanden, Israel und den USA unterwegs. Plötzlich hatte ich diese Idee: Lasst uns maschinelles Lernen auf Probleme anwenden, die wirklich wichtig sind – in Sektoren wie Energie, Chemie oder Pharmazie. Um anzufangen, wandte ich mich an einige meiner Kommilitonen und so lernte ich meine Mitgründer Konstantin und Manuel kennen. Unser erster Kunde war ein niederländisches Start-up aus dem Energiesektor, für das wir ein Echtzeit-Optimierungssystem für Fernwärmenetze entwickelt haben. Aus dem jungen Unternehmen wurde basierend auf dieser Technologie ein Weltmarktführer. Das Beispiel hat uns inspiriert. Im Jahr 2020 standen wir bereits in Kontakt mit der EnBW-Tochter Netze BW. Für die Zusammenarbeit mussten wir dann eine GmbH gründen.
Wir begannen ohne eine konkrete Produktidee, aber mit der Zeit wurde unsere Vision klar: Im Grunde wollten wir KI durch Standardisierung und wiederholbare Prozesse für Unternehmen zugänglicher machen. In den letzten vier Jahren haben wir beobachtet, dass sich 90 Prozent der Machine-Learning-Projekte auf sich wiederholende Aufgaben konzentrieren. Beispielsweise auf Datenaufbereitung, Erstellung von Dashboards, Einrichtung von Datenbanken, Versionierung von Modellen und Training von Modellen. Wir erkannten, dass wir diese Aufgaben automatisieren können. So können sich Datenwissenschaftler und Ingenieure auf den Kern ihrer Arbeit konzentrieren. Genau das macht unsere Atlas-Plattform.
Um die Plattform greifbarer zu machen, haben wir konkrete KI-Lösungen für die Energiewirtschaft entwickelt – darunter Vorhersagen über PV-Stromerzeugung und Verbrauch. Unser Ansatz, klassische Modellierung mit maschinellem Lernen zu kombinieren, hat sich als sehr effektiv erwiesen. Unsere Prognosen für Energiebedarf und Erzeugung wurden erst kürzlich mit dem AI Champions Award des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg ausgezeichnet. Heute arbeiten wir bereits mit Unternehmen in mehr als zehn Ländern.
Wir bieten Lösungen als Software-as-a-Service (SaaS) oder Platform-as-a-Service (PaaS) an. Obwohl wir immer noch einige kundenspezifische Entwicklungen und Beratungen anbieten, reduzieren wir diesen Aspekt. Das Hauptprodukt ist die PaaS-Lösung Atlas. Sie ermöglicht es Unternehmen, Machine-Learning- und datenintensive Anwendungen effizient zu betreiben. Ich weiß, es klingt kompliziert. Aber im Grunde ermöglichen wir es Firmen, maschinelles Lernen auf ihre sich wiederholenden Geschäftsprozesse anzuwenden. So entsteht ein enormer Effizienzgewinn. Allerdings haben wir festgestellt, dass in Deutschland viele Organisationen noch nicht ganz bereit für eine solche Plattform sind. Sie konzentrieren sich noch auf konkrete Anwendungsfälle. Daher haben wir den Fokus im Energiesektor kürzlich auf kleinere Lösungen verlagert, wie die Prognose des Energiebedarfs oder des Solarstromertrags, die vom ersten Tag an Wert liefern.
In einem Projekt konzentrieren wir uns immer auf mehrere Schlüsselelemente: Es braucht ein konkretes Ziel und messbare Verbesserungen. Dazu definieren wir klare Kennzahlen und Prozesse, die verbessert werden müssen. Das Implementieren, Messen, Auswerten und Anpassen in schnellen Zyklen machen unseren Ansatz aus. Wir erstellen Daten aus den sich wiederholenden Prozessen und visualisieren den Fortschritt dann im „großen Buch der Plots“, so nennen wir das. Wir identifizieren zwei verschiedene Sätze von Kennzahlen: Einen intern für technische Ziele und einen, der für die Business-Stakeholders besser interpretierbar ist. Die Business-Stakeholders sollten immer gut informiert sein und die Kennzahlen verstehen können.
Wir haben in der Tat mehrere wirkungsvolle Anwendungsfälle für KI im Energiebereich identifiziert: Die Energiebeschaffung und -handel können optimiert werden. Das senkt die Verbraucherpreise und erhöht die Margen. Denn der Handel mit Solarstrom kann an der Börse gute Erträge erzielen. Insbesondere in den Niederspannungsnetzen kann die Transparenz erhöht werden – insgesamt lässt sich die Netzplanung optimieren. Zudem kann wie in anderen Bereichen der Kundenservice durch intelligentes Routing und Chatbots automatisiert werden. KI kann auch die Lebensdauer kritischer Infrastruktur, wie Transformatorenstationen, besser abschätzen und Netzflexibilitätslösungen entwickeln.
Die Plattform zentralisiert und optimiert alle datenbezogenen Prozesse, von der Erfassung über die Verarbeitung bis hin zur Analyse und KI-Modellbereitstellung. Atlas ermöglicht die nahtlose Integration von Daten aus verschiedenen Quellen, einschließlich Smart Meter, Sensoren und anderen Energiesystemen. Die Plattform kann mit wachsenden Datenmengen umgehen, was für die datenintensive Energiebranche entscheidend ist. Sie bietet Tools zum Trainieren, Versionieren und Bereitstellen von KI-Modellen, was den gesamten Lebenszyklus der Modellentwicklung unterstützt.
Zudem kommt die Plattform mit vorintegrierten KI-Apps, die spezifisch für die Energiewirtschaft entwickelt wurden. Dazu gehören unser Stromnachfrage- und Ertragsprognose, die Versorgungsunternehmen bei der Optimierung ihrer Ressourcen unterstützen. Die Architektur gewährleistet, dass Unternehmen die volle Kontrolle über ihre Daten behalten und gleichzeitig von KI profitieren können. Durch die Automatisierung vieler repetitiver Aufgaben reduziert Atlas die Kosten.
Natürlich wollen wir so viele Versorger und Solarparkbetreiber wie möglich betreuen. Unsere Smart-Meter-Datenverwaltungs- und Analysenlösung umfasst auch eine dynamische Preisgestaltung. Neue Kunden sollen schnell unsere Plattform nutzen können, wir wollen das Onboarding verbessern. Denn ab dem 1. Januar 2025 ist das Smart-Meter-Datenmanagement gesetzlich vorgeschrieben. Zudem wollen wir stärker mit Energiehändlern zusammenarbeiten, um Lösungen für Versorger anzubieten, die den Handel nicht selbst verwalten können.
Technologisch konzentrieren wir uns derzeit auf die Kombination der beiden Prognosemodelle mit einem Optimierer für die Planung von Energiespeichersystemen. Das Potenzial für Einsparungen und bereitgestellte Netzflexibilität ist hier enorm. Es wird jedoch eine Herausforderung, ein System pro Gebäude oder Speichersystem zu betreiben.
Das Interview führte Niels H. Petersen.
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