Neben Photovoltaik, Batterien und thermischen Speichern gilt grüner Wasserstoff als Hoffnungsträger einer zukunftsfähigen Energiewirtschaft. Wie weit sind die Entwicklungen im Wasserstoffbereich? Ist er tatsächlich ein Zukunftskraftstoff oder eine gelebte Realität? Darüber sprechen wir mit mehreren Experten aus der Region Sachsen.
Der Standort Sachsen erlebt im Energiebereich einen großen Wandel. Gelingt der Übergang auf nachhaltige Energien?
Klaudia Wackerman: Aktuell ist Sachsen ein dynamischer Wirtschaftsstandort mit langer Industrietradition. Mit seinen beiden Braunkohlerevieren – dem Mitteldeutschen und dem Lausitzer - verfügt Sachsen über umfangreiche Kompetenzen im Bereich Energie-und Umwelttechnik. Mit diesem Know-how ist das Land auf einem guten Weg den Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien zu meistern und zu einer wichtigen Säule in der Energieversorgung zu entwickeln. Beispielsweise geschieht das auf ehemaligen Bergbauflächen, unter anderem in dem Projekt von LEAG mit der GigawattFactory und MIBRAG betreibt das EMIR-Konzept. Natürlich ist Wasserstoff auch für die energieintensive Industrie in Sachsen von zentraler Bedeutung. Durch seinen Einsatz können industrielle Prozesse dekarbonisiert werden, vor allem bei der Stahlproduktion und in der chemischen Industrie. Ebenso besteht für weitere Branchen durch den Einsatz von Wasserstoff die Möglichkeit der wirtschaftlichen Diversifizierung und industriellen Wertschöpfung.
Dr. Peter Lucas: Sachsen hat von vornherein gute Voraussetzungen. Viele Unternehmen die zur Wertschöpfungskette des Wasserstoffs beitragen waren in Sachsen schon angesiedelt. Der Freistaat muss im Prinzip durch Regularien und Anreize ein geeignetes Umfeld schaffen, damit die Unternehmen hier bereitwillig investieren und so für sich auch neue Wertschöpfungspotentiale entwickeln können. Begonnen haben wir in Sachsen vor allem forschungsseitig deutlich vor dem Jahr 2020. Damals lag der Fokus noch gar nicht unbedingt auf grünem Wasserstoff, vielmehr haben wir uns mit der Frage der Nachnutzung fossiler Begleiterscheinungen bei der Produktion von fossilen Kraftstoffen beschäftigt. Diese Technologien sind wandelbar, wurden weiterentwickelt und können heute im Bereich des grünen Wasserstoffs eingesetzt werden. Dieser Wandel wurde von den Unternehmen, die teilweise noch aus der DDR Zeit bestehen, mitgetragen.
Dr. Olga Naumov: Die Energiebranche wird schon seit Jahrzehnten regelmäßig vor neue Herausforderungen gestellt. Wasserstoff ist so eine Herausforderung. Weil Wasserstoff noch nicht komplett kommerziell verfügbar und erprobt ist, müssen wir uns überlegen, wie er technisch eingesetzt werden kann. Wirtschaftlich ist er ebenfalls noch nicht darstellbar. Als Energieversorger müssen wir aber die bezahlbare Energie-Wärme und Stromversorgung unserer Bürgerinnen und Bürger sicherstellen. Trotzdem investieren wir aktiv in Forschungsprojekte, damit diese Technologie bei uns in Zukunft eingesetzt werden kann. Wir gehen davon aus, dass Wasserstoff ein Teil der Energieversorgung sein wird. Ebenso ist der regulatorische Rahmen für Wasserstoff in der Energiebranche noch nicht ganz ausgestaltet, insofern sind wir sehr gespannt wie die Entwicklungen voranschreiten.
Dr. Olga Naumov: Tatsächlich ist es eine Frage des Bundes. Aber unsere sächsischen Ministerien sind unser Sprachrohr und eine Interessenvertretung der Unternehmen im Freistaat Sachsen. Sie loten beispielsweise aus, ob und wie neue Technologien in Unternehmen umgesetzt werden können und spiegeln das in die Bundesministerien weiter.
Dr. Peter Lucas: Der Freistaat Sachsen setzt sich natürlich dafür ein, dass es für Unternehmen, für Bürgerinnen und Bürger eine gute und saubere Zukunft geben muss. Und die Energiepolitik gehört hier dazu. Intern gibt es natürlich Ministerien-übergreifende Runden, in denen neue Themen diskutiert werden, mit Unternehmen gemeinsam Knackpunkte herausgefiltert und an das Bundesministerium zurückgegeben werden. Damit es für alle Bürgerinnen und Bürger im Freistaat vernünftig und bezahlbar weitergehen kann, müssen diese Punkte so gut wie möglich ausgearbeitet werden
Christoph Friedrich: In Gänze decken wir das nicht ab, aber wir sehen das Thema Wasserstoff ganzheitlich. Deshalb haben wir das Verbundprojekt LHyVE ins Leben gerufen um gemeinsam mit der EDL, ONTRAS und der VNG AG beim Aufbau der mitteldeutschen Wasserstoffwirtschaft zusammen zu arbeiten. Dadurch ist es möglich, die komplette Wertschöpfungskette zu erschließen damit eine Wasserstoffwirtschaft entstehen kann.
Christoph Friedrich: Die Region Mitteldeutschland verfügt über eine Wasserstoffinfrastruktur, die aktuell auf grauem Wasserstoff basiert. Sofern der Wasserstoff-Hochlauf gelingt, werden wir bis 2050 ungefähr einen Bedarf von 0,1 bis 0,3 Terrawattstunden in der Region haben. Das macht uns zu einem der größten Wasserstoff Hubs in Europa. Soll die Wertschöpfung weiterhin in der Region entstehen und damit auch Wohlstand und Arbeitsplätze gesichert werden, muss es einen erfolgreichen Strukturwandel geben. Das größte Potential bei der Nutzung von Wasserstoff haben in naher Zukunft die Bereiche Industrie und Wärme. Hier genauer gesagt Abwärme aus Elektrolyseanlagen, die wir gerne in das Leipziger Fernwärmenetz einspeisen würden. Danach folgen die Sektoren Logistik, Mobilität und vielleicht später noch Einzelanwendungen.
Dr. Olga Naumov: Die Wasserstoffstrategie des Bundes ist recht pragmatisch. Um den Hochlauf sicherstellen zu können, werden Kooperationen mit Ländern geschlossen, in denen Stromkosten niedrig sind und dadurch recht günstig grüner Wasserstoff erzeugt werden kann. Deutschland selbst kann wahrscheinlich auch aus rein technischer Sicht nicht so viel grünen Wasserstoff herstellen, wie für Industrie, die Energieversorgung und auch für Endverbraucher benötigt wird. Trotzdem wird es regionale Wasserstoff-Produktionseinheiten geben und dafür müssen erneuerbare Energien ausgebaut werden. Die Stadtwerke Leipzig beispielsweise sind in der Planung einer Anlage zur Erzeugung von Wasserstoff und werden voraussichtlich gegen Ende des Jahrzehnts regional erzeugten grüner Wasserstoff zu Verfügung stellen. Wenn dann auch noch Anfang der 30er Jahre das Wasserstoff-Transportnetz bzw. das Kernnetz soweit ausgebaut ist, kann auch importierter Wasserstoff durch Teile des jetzigen Gasnetzes fließen.
Wieviel Prozent von diesem riesengroßen Projekt sind schon umgesetzt und wie groß ist der Teil, der noch in Planung ist?
Dr. Peter Lucas: Neben der Planung sind auch schon erste relativ große Investitionsentscheidungen gefallen. Beispielsweise wird von der Linde GmbH ein 24 MW Elektrolyseur am Standort der Raffinerie Leuna gebaut, der dann grünen Wasserstoff produziert und ihn dann zur Veredelung von Kraftstoffen bereitstellt. Bei den Infrastruktur-Projekten hat der Startschuss schon deutlich vor dem des Wasserstoff-Kernnetzes angefangen und zwar im Rahmen der IPCEI Projekte. Hier wurden wichtige Infrastrukturleitungen für ganz Europa vorgeplant und ein wichtiger Knotenpunkt der entstehen wird ist rund um Leipzig.
Es werden hier Speicher gebaut, bzw. gesolt und umgerüstet damit sie wasserstofffähig sind. An diesen Standorten werden Elektrolyseure mit einer Leistung zwischen 20 und 100 Megawatt aufgebaut, deren Wasserstoff als erstes in der Chemie und Petrochemie eingesetzt wird. Mit sogenannten THG-Quoten soll das Nutzen von grünem Wasserstoff für Unternehmen attraktiver gemacht werden. Von staatlicher Seite werden gezielt Maßnahmen eingesetzt, dass der Markthochlauf beginnt. Hier gibt es die feste Quotenregelung für Unternehmen. Im Anschluss daran wird der Bereich Mobilität kommen. Durch die hohen Benzinpreise besteht eine relativ große Zahlungsbereitschaft. Ein Wasserstoff-Auto wird gerechnet auf 100 Kilometer nicht teurer sein als ein normaler Pkw heute.
Fällt unter den Bereich Mobilität in Sachsen auch der private Bereich?
Dr. Peter Lucas: Die sinnvollste Option für Wasserstoff in der Mobilitätsbranche ist im Bereich der Nutzfahrzeuge angesiedelt. Der Markt hält aktuell ein sehr überschaubares Angebot für Privat-Pkw bereit und das kommt von asiatischen Anbietern. Für Lkw und Nutzfahrzeuge allerdings gibt es schon tolle Produktankündigungen europäischer OEM. Momentan haben wir noch das Problem, dass es zu wenig Wasserstofftankstellen gibt, aber diese Situation wird sich 2026 / 2027 deutlich entspannen.
Christoph Friedrich: Vor 2,5 Jahren haben wir- die L-Gruppe - gemeinsam mit ONTRAS, EDL und VNG im Rahmen von IPCEI als Konsortium eine Projektskizze abgegeben. Darin haben wir die gesamte Wertschöpfungskette der Region als effizientes Gesamtsystem abgebildet, das den Verbrauch und die Erzeugung in Einklang bringt. Von der Erzeugung, Speicherung, dem Transport, der Verteilung bis hin zur Anwendung. Sollte es nicht möglich sein, das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch stabil zu halten, besteht die Anbindung an das European Hydrogen Backbone, einem europaweiten Wasserstoffnetz.
Die Leipziger Region ist Wasserstoff-Drehkreuz an dem aus den unterschiedlichsten Richtungen Wasserstoff-Transportleitungen zusammenkommen und miteinander verbunden werden. Das hat uns zu der Idee veranlasst, um Leipzig einen Wasserstoffring zu entwerfen, der eine große Versorgungssicherheit für das Gesamtsystem bietet und der potentiellen Abnehmern einen relativ einfachen Zugang zu dieser Wasserstoff-Autobahn ermöglicht. Innerhalb dieses Zusammenschlusses gehen die einzelnen Partner verschiedenen Aufgabenbereichen nach. Die Leipziger Gruppe hat den Bereich LHyVE Systeme in der Verantwortung.
Das Herzstück hier ist das Heizkraftwerk, das momentan zu 30 %, bis 2030 zu 100 % H2-ready sein wird. Ebenso besitzen die Leipzig Gruppe die notwendige Wasserkompetenz um Wasserressourcen zu erschließen und haben die Möglichkeit, Wasserstoffleitungen und Netzanschlüsse zu legen. Das Teilprojekt LHyVE Flexibilisierung der VNG beinhaltet die Bereitstellung des Wasserstoffs im Bedarfsfall. Die VNG betreibt zukünftig in Bad Lauchstädt einen Kavernenspeicher und besitzt im Handel eine ausgezeichnete Expertise. ONTRAS ist ein Transportnetzbetreiber und die EDL stellt grünes, synthetisches Kerosin her, welches zukünftig für den Flugverkehr unabdingbar sein wird.
Klaudia Wackerman: Der Wasserstoffstandort Sachsen ist mittlerweile gelebte Wirtschaftsrealität. Es arbeiten zahlreiche sächsische Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Netzwerke wie HZwo und Energy Saxony an der Verwirklichung dieser Vision. In Leipzig wird die erste Straßenbahn entwickelt, die mit Wasserstoff-Brennstoffzellen betrieben wird und die Leipziger EDL Anlagenbau Gesellschaft arbeitet daran, den Traum vom nachhaltigen Fliegen zu verwirklichen. In Dresden entwickelt und produziert Sunfire effiziente Elekrolyseure sowie Alkali-Anlagen. Auf der Forschungsseite wird in Chemnitz das Hydrogen Innovation Center als Forschungs-und Zertifizierungscampus für Wasserstoffantriebe aufgebaut. Leuchtturmprojekte wie das LHyVE in Leipzig zeigen uns, wie der Weg zu intelligenter Sektorenkopplung aussehen kann. HINT.CO, ein deutscher Wasserstoffhändler mit Sitz in Leipzig, soll Investitionen in grünen Wasserstoff ermöglichen und einen transparenten Markt dafür aufbauen. All das zusammen bildet eine gute Basis für die Entwicklung der Region zum etablierten Wasserstoffstandort der Zukunft.
Dr. Peter Lucas: Für viele Unternehmen ist Wasserstoff eine Notwendigkeit um ihre Produkte zu dekarbonisieren, sonst gehen sie auf dem Markt unter. Somit steht Wasserstoff für den Erhalt von vorhandenen Industriearbeitsplätzen. Durch Wasserstoff werden vor allem im Mobilitätsbereich neue Produkte auf dem Markt erscheinen was zur Folge hat, dass auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Dieses Bestreben – der Erhalt und die Neuschaffung von Arbeitsplätzen- werden vom Wirtschafsministerium aktiv unterstützt. Zudem besteht in Sachsen die Möglichkeit, von europäischen Fördermitteln im Rahmen der EFRE oder ESF zu profitieren. Das nutzen wir für die Technologieforschung, damit sich Unternehmen weiterentwickeln und neue Produkte anbieten können.
Dieses Interview ist ein Auszug aus einer Folge des The smarter E Podcasts. Das vollständige Gespräch können Sie hier anhören.